Im Folgenden habe ich einige meiner persönlichen Insights der letzten Jahre zusammengefasst. Vielleicht ist der eine oder andere Gedanke hilfreich für Early Startups, die sich wie wir auf den langen Weg begeben.

Mehr als nur ein innovatives Produkt

Du entwickelst nicht nur ein innovatives Produkt, von dem du glaubst, dass es eine zahlende Kundschaft dafür gibt, sondern du baust ein Unternehmen auf. Darüber muss man sich im Klaren sein. Es ist u.a. die Synergie aus Gründer- und Investor*innen, die Abstimmung zwischen Produkt- und Geschäftsentwicklung sowie der Spirit des Gründungsteams, die zusammenkommen müssen. Ein Unternehmen nachhaltig aufzubauen ist eine hochkomplexe Angelegenheit.

Gleichzeitig braucht man die Nerven dafür. Unternehmertum bedeutet für mich, (kalkulierbare) Risiken einzugehen, zu denen viele Menschen nicht bereit wären. Im Gegensatz zur regulären Erwerbsarbeit, die eher gleichmäßig verläuft, gibt es, lebensphilosophisch gesprochen, in der Selbstständigkeit ein Oben und ein Unten. Man muss mit ganzem Herzen dabei sein und bereit sein, Rückschläge einzustecken und Durststrecken zu überwinden. Das erfordert vollstes Commitment. Gründen funktioniert nicht im Teilzeitjob.

Gründen ist Luxus und Privileg

Gründen ist Luxus. Nicht alle Menschen, auch wenn sie gute Ideen haben, können sich eine Gründung leisten. Wer nicht aus dem universitären Umfeld kommt, keine Eltern mit dickem Portemonnaie hat oder nicht aus einer staatlich anerkannten Forschungseinrichtung kommt, hat von vornherein schlechte Karten. Die Fördertöpfe werden zwar heftig umworben, die damit verbundenen Bedingungen und Auflagen können aber nur von wenigen außerhalb der akademischen Szene erfüllt werden. In unserem Fall sind wir sowohl auf Bundes- als auch auf EU-Ebene fündig geworden. Always keep on looking!

An dieser Stelle ein Dank an Irene Bejenke Walsh für die Ermutigung zur Teilnahme am EIC Accelerator im Rahmen von Horizon Europe. Wir haben die erste Runde gemeistert und im Oktober geht es weiter. Und ja, wir brauchen all die tollen Coaches, ohne die wir im Blindflug unterwegs wären. Ermutigung ist ein Schlüsselwort.

Bereit sein für intellektuelles Ringen auf Augenhöhe

Eine Förderung bedeutet, detaillierte und umfangreiche Anträge zu stellen, die uns aus unserer mentalen Komfortzone drängen. Das kreative Ringen, die ursprünglichen Ideen im Rahmen eines Förderprogramms weiterentwickeln zu müssen, ist für uns immer wieder eine tolle Erfahrung. Für die Antragstellung sollte man je nach Förderbereich mehrere Wochen bis Monate einplanen. Und da es um neue Ideen geht, hilft KI exakt null.  Im Gegenteil, ein Large Language Model hemmt m.E. das Denken. Eine Antragstellung ist Hochleistungssport für vernetzte Gehirne. Eine schwache Idee wird durch ein KI-Sprachmodell nicht auf wundersame Weise zu einer starken Idee. Sapere aude!

Meine Vorbilder

Ich habe Vorbilder, die mir existenziell Mut machen. Mein Vater und meine Mutter hatten beide erfolgreiche Unternehmen aufgebaut und ihr Leben lang weiterentwickelt. Die Stärke meines Vaters reichte von der Innovation neuer Produkte bis zur Konzeption neuer automatisierter Fabriken. Heute würden wir sagen, big shit. Die Stärke meiner Mutter lag im Aufbau eines Netzwerks großartiger Kundinnen, in der Beziehungsarbeit, kombiniert mit immer neuen, cleveren Geschäftsideen. Meine Schwester führt das Unternehmen in zweiter Generation. Mein Vater entwickelte unter anderem das ‚Ökopflaster‘, das die Versiegelung städtischer Flächen verhindert. Meine Mutter hatte dermatologische Kosmetik auf wissenschaftlicher Basis eingeführt. In Schwäbisch Gmünd war sie als Grande Dame eine bekannte Persönlichkeit, die ihre Kundinnen unterstützte, ihnen zuhörte und sie ermutigte. Meine Mutter hat den Menschen immer mehr gegeben als den reinen Verkauf von Produkten und Dienstleistungen.

Ich bin Gründerin. Ich könnte mir keinen anderen Lebensentwurf vorstellen. Born to be. Unternehmertum schwingt in jeder Lebensfaser, genauso wie die Freude an globaler Vernetzung.

Die Frage der richtigen Chemie und Beziehung

Damit komme ich zu einem wichtigen Thema: Gründen ist nie 100% rational. Wie ist die psychologische Chemie im Gründerteam? Wie sieht die Beziehung zwischen Gründer- und Investor*innen aus? Hier gibt es nach meiner Erfahrung große Gender Unterschiede. Ich hatte zum Beispiel vor Kurzem einen Call mit einem Harvard-Graduate Fundraising Manager. Top-of-the-line guy. Als Preseed Startup aus Germany haben wir auf seinem Radar nicht mal einen Blip erzeugt. Ich verstehe seine Welt. Er schwebt in einer Blase, die nur Milliarden und Billionen an Investments kennt. Für mich leider ein kalter Fisch. 

Hier der Gegenentwurf: In einem deutschen Netzwerk-Call von Gründer- und Investorinnen sprachen beide Seiten neulich über ihre Zusammenarbeit. Die Investorin begann den Call schmunzelnd mit den ungefähren Worten „Ich erzähle mal die Geschichte unserer Liebesbeziehung“. Ich war ehrlich gesagt weggefegt. Es ging um gute Kommunikation, um psychologische Unterstützung („Ich möchte natürlich, dass es meiner Gründerin gut geht, denn sie ist mein Investment“) wie auch um fachlichen Rat, der umso besser ankommt, je positiver die Beziehungsebene entwickelt ist.

Auch bei anderen Women’s Events wie z.B. im Starthaus Bremen ist mir aufgefallen, dass Frauen offener mit Fehlern und Schwächen umgehen. Schon damals habe ich mir gedacht: Das ist genau die wertschätzende und selbstkritisch-konstruktive Kultur, in der ich mich wohlfühle und wachsen möchte.

Stand- und Spielbein

Apropos Commitment. Das Teilzeitproblem habe ich so gelöst, dass mein jetziger Arbeitgeber, MyGatekeeper in Hannover, in Zukunft unser Pilotkunde sein wird. Das ist abgesprochen und einen so tollen Geschäftführer wie David Salim zu treffen, ist ein seltener Glücksfall im Leben.

Als Referentin für Erwachsenenbildung konzipiere ich Workshops im Bildungsbereich und führe viele davon auch als Moderatorin durch, sowohl in Präsenz- wie in hybrider Form. In gewisser Weise ist das für mich wie eine ‚Lehre‘ auf sehr hohem Niveau, da ich mehr als 30 Jahre Berufserfahrung an den Tisch bringe. Ich lerne im Feld, wie Menschen aktuell lernen. Als CEO von NEXTGEN.LX kann ich nicht auf einem hohen Ross sitzen. Aus der Sicht und dem Empfinden meiner asiatischen Sozialisation ist es mir eine Ehre, den Menschen, den Schulleitungen und den Lehrkräften zu dienen und Innovationen im Bildungsbereich voranzutreiben.

Be of service to others, not to yourself.

Die Themen, an denen ich bei MyGatekeeper arbeite, sind genau die gleichen wie in unserem Startup. Einige kennen vielleicht das Buch ‚Levers‘ von Amos Schwartfarb und Trevor Boehm. (Danke an Daniel Kraft von Moinland an dieser Stelle für den Buchtipp). Am Anfang der Unternehmensentwicklung müssen wir unsere zukünftigen Kunden kennenlernen. Und noch etwas strenger: Wir benötigen möglichst enge, hochpräzise Kundenprofile, um beim Markteintritt effektiv Innovatoren, d.h. besonders innovationsfreudige Organisationen, als erste Kunden zu gewinnen ohne viel Zeit zu verschwenden.

Der Gründer des deutschen Start-ups ‚Stackfield‘ hat einmal in einem Interview von den ersten 100 Kunden gesprochen. Das finde ich seitdem eine griffige Formel: Wie finden wir unsere ersten 100 Kund*innen? Aber das ist nicht die einzige Herausforderung, denn wir müssen noch ganz andere Dinge im Blick haben.

Single Points of Failure

Was hat das James Webb Space Telescope mit unserem Erfolg zu tun? Ich habe neulich einen Dokumentarfilm über dieses technologische Meisterwerk gesehen. Es ist ebenso komplex wie faszinierend. Der kleinste technische Fehler konnte das gesamte Projekt zum Scheitern verurteilen, etwa wenn eine defekte Mechanik das Ausfahren des Teleskops verhindert hätte. Die Ingenieure nannten all diese Herausforderungen potenzielle ‚Single Points of Failure‘, die es im Vorfeld zu berücksichtigen galt. Das war genial! Jedes Start-up-Unternehmen braucht einen solchen Kontingenzplan: Was, wenn…? Was, wenn das MVP am Ende der Preseed-Phase noch nicht kundenreif ist? Was, wenn plötzlich die Anschlussfinanzierung wegbricht? Was wenn plötzlich direkte Konkurrenzprodukte mit ähnlichen USPs auf den Markt kommen? etc. etc. Diese Fragen sollten wir uns selbst und unseren Investor*innen beantworten können.

Um diese Risiken zu minimieren, benötigen wir ein Netzwerk aus innovationsfreudigen Pilotkund*innen mit passenden Use Cases und kompetenten Entwicklungs- und Beratungspartnern. Die Hauptrolle spielen für mich immer die tollen Menschen, mit denen ich das Vergnügen und die Ehre habe zusammenzuarbeiten.

Selbstschutz

Ganz wichtig, das gehört auf den Notizzettel: Wir müssen auf unsere psychische Gesundheit achten, gerade als High Performer. Ich hatte das Unglück, Ende letzten Jahres einen Burnout zu erleben. Ich wollte gerade in der Anfangsphase ungeduldig immer weiter pushen, denn ich war ja das Feuerpferd am Horizont, und auf einmal ging gar nichts mehr. Plötzlich trabte ich ins Leere, nach dem Motto: Huch, wo bleibt denn meine Kraft? Danach Absturz. Unsere existenziellen Reserven dürfen niemals angetastet werden.

Take care of youself. Always.

Gründen ist ein Marathon, kein Sprint

Als Preseed stehen wir bescheiden am Anfang. Das hindert uns nicht daran, nach vorne zu schauen. Die Phase der ersten 100 Kunden in der Seed-Phase wird gemeinhin auch als ‚Valley of Death‘ bezeichnet. Hier scheitern die meisten Start-ups. Deshalb haben wir besonders viele Ressourcen in die Preseed-Phase gesteckt. Mehr Details in Teil 2, wenn wir weiter sind 😊. Von der Preseed Phase hängen die Going-to-Market Strategie, die Möglichkeitsnetzwerke für die Seed-Runde und die Reife des MVPs ab. Je mehr Energie in jede Phase geht, desto höher der Orbit. Ein bisschen wie eine Elekronenschale.

Die Herausforderung danach wird der sogenannte ‚Chasm‘ (Abgrund) sein, also der Übergang von einem frühen, selbstreferenziellen Markt in den Mainstream-Markt, auch wenn wir bis dahin noch etwas Zeit haben. Auch dafür entwickeln wir im Vorfeld Strategien. But first things first: Ein guter Geschäftsplan, ein gutes Pitchdeck und vor allem gute Netzwerke.

Unser WHY treibt uns voran: Social Glue!

In einer Welt, die auseinanderfliegt, brauchen wir neuen sozialen Klebstoff.

Das ist unser Elevator Pitch. Vor nicht allzu langer Zeit hatten wir wie selbstverständlich von Lernen, Lernaktivitäten und Lernprozessen gesprochen. Aus unserer akademischen Sicht absolut positiv besetzte Begriffe. Für Unternehmen war das leider nie sexy. Beim Stichwort ‚Lernen‘ und selbst ‚organisationales Lernen‘ gingen bei vielen Geschäftsleitungen sofort die Rollladen runter. Daher haben wir unser Konzept weiterentwickelt: Ein Top-Manager kann es sich vielleicht (noch) leisten keine Zeit für die Weiterbildung seiner Mitarbeitenden einzurichten, aber er kann es sich nicht leisten zu proklamieren, er hätte keine Zeit für soziale Beziehungen. Er wäre bei allen sofort unten durch.

Ein schöner Satz von Timothy R. Clark: ‘Wir sind hypersoziale Wesen, die einander brauchen.’

Im Herzen bin ich Hippie und glaube an die Weltverbesserung. Die SDGs gehören für uns unbedingt in die KPIs. In der Ikigai-Logik geben wir der Welt etwas, das sie dringend braucht und das wir liebend gern entwickeln: innovative und selbstorganisierte, inklusive Teams zu entwickeln. Dieses WHY treibt uns jeden Tag an. Wer Kevin Roberts ‚Lovemarks‘ kennt, das Buch des CEO von Saatchi & Saatchi, weiß, wo wir uns konzeptionell als Unternehmen verorten. Sowing The Seeds of Love.

In Closing

Die meisten Überlegungen fließen in die Zukunftsplanung. Vielleicht wundern sich einige, dass ich auf LinkedIn ziemlich gnadenlos über KI-Entwicklungen urteile. Das liegt nicht daran, dass ich KI irgendwie schlecht finde, sondern daran, dass ich sie mir so viel besser vorstellen könnte: prosozialer, das menschliche Denken nicht nur unterstützend, sondern fördernd, spielerischer, nicht bevormundend. Genau darüber mache ich mir derzeit Gedanken (Hashtag zukünftige Produktentwicklung/ Don’t be a One-Trick-Pony) und das bedeutet: Wir müssen im Team lernen, lernen, lernen. Es macht ja irre Spaß. Und als Gründer*innen: Machen, machen, machen.

Die handelnden Menschen verändern die Welt. Die klug Handelnden, sogar nachhaltig.


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