Photo: Meine Videokonferenz-Perspektive und wie mich TeilnehmerInnen im Seminar sehen. Im Hintergrund mein digitales Musikstudio. Seit meiner Jugend bin ich elektronisch-kreativ auf dem Weg.

Wir sind in der dritten Woche unseres digitalen Professionalisierungs-Programms PB-380 und haben vier Schulen an Bord: die Medizinische Ausbildung der Uni Göttingen , die Helene-Lange-Schule aus Oldenburg (eine Integrierte Gesamtschule mit gymnasialer Oberstufe), das Montessori Bildungshaus aus Hannover und die BBS Buchholz, die Berufsbildenden Schulen aus Buchholz. Damit decken wir beinahe das gesamte Spektrum des deutschen Bildungsbereiches ab. Für Grund und Förderschulen würde ich in Zukunft gern spezialisierte Angebote sehen. Es gibt Arbeit ohne Ende, im positiven Sinne.

Auf Seiten der Studierenden haben wir diesmal nicht nur Lehramt Studierende, sondern ebenfalls Studierende der Pädagogik und der Fachwissenschaften dabei, wie etwa der Wirtschaft und politischen Wissenschaft. Einer meiner Ziele ist es, unter anderem, die tief verwurzelte Prüfungs- und Notenangst bei Studierenden abzubauen. Solche Ängste gehören nicht an eine Universität. Es braucht immer eine gewisse Zeit bis Studierende erkennen, dass sie sich bei uns in einer vollkommen neuen (sicheren) Lernumgebung befinden, in der es tatsächlich darum geht sich persönlich weiterzuentwickeln, mit anderen an spannenden Projekten kreativ zusammenzuarbeiten und neue Perspektiven zu entdecken. To learn is to create.

Synchrone Kommunikation ist die Grundlage für kooperatives Arbeiten und ein erfolgreiches Onboarding

Einer meiner wichtigsten Erkenntnisse in den ersten Einführungswochen war, das synchrone Kommunikationsmöglichkeiten die Grundvoraussetzung für kooperatives Lernen bedeuten. Dies ist logisch: nur wenn alle Gruppenmitglieder auf dieselben aktualisierten Informationen zugreifen können, auf den gleichen Informationspool, können sie an einem geteilten Lernprozess teilhaben. Kooperatives Lernen kann nicht mit asynchronen Medien stattfinden. Daher sollten Schulen sich entsprechend kundig machen. Es sollte synchrone Kommunikationsmöglichkeiten für alle Medien geben, etwa Chat, Video, Text- und Grafikbearbeitung oder zur Bearbeitung von Konzepten. Das Stichwort ist die Realisation multimedialer Kooperationsebenen.

Entscheidend ist die hands-on Einführung neuer Medien um alle TeilnehmerInnen eines Bildungsangebotes abzuholen. John Deweys Paradigma des ‘Learning by Doing‘ trifft für die digitale Welt ganz besonders zu. Es gilt Routinen in der digitalen Lernumgebung zu entwickeln. Erklärvideos können und sollten unterstützend angeboten werden.

Screenshots: Kollaborative Online Pinnwand (links) und ein Erklärvideo zu Wonder (rechts), das ich für unsere TeilnehmerInnen produziert hatte.

Nebeneinander herstudieren? Nein danke!

In unserem Fall benutzen wir das Programm Pronto als synchronen Chat-Raum und die Videoplattform Wonder als synchronen Videoraum. Wonder ist, anders als Zoom oder Big Blue Button, speziell für Gruppenarbeiten ausgelegt. Dass in einen Raum theoretisch bis zu 1500 TeilnehmerInnen passen ist ein Bonus, den man für Kleingruppenarbeiten nicht beanspruchen braucht. Solche offenen Plattformen, die 24/7 strukturiert werden können machen spontane Treffen und sozialen Austausch zum Kinderspiel. Um die prinzipiell ständige Erreichbarkeit nicht zum Diktat werden zu lassen, biete ich beispielsweise Sprechstunden als Zeitfenster an, die von Studierenden in einem Padlet ‚gekapert‘ werden können. Finden sich nach einer angekündigten Ablaufzeit keine Takers, verfällt die Sitzung. So lässt sich unbegrenzte Erreichbarkeit kultivieren.

Unsere ehrenamtlichen Unterstützer, Dr. Michael Drabe (zuständig für unsere Schulteams) und die Diplompädagogin Janett Kloß haben ihre eigenen Foren. Unsere Lernumgebung bietet verschiedenste Co-Working Spaces an, also eine Vielzahl an Möglichkeiten für Schulteams und Studierende in Kontakt zu treten, sei es synchron oder asynchron. Besonders schön zu sehen war, dass ein Schulteam die ersten zwei Wochen dazu genutzt hatte aus den Erfahrungen im Seminar einen eigenen Onboarding-Leitfaden für Schülerinnen und Schüler zu erstellen. Ich hatte den Begriff des Onboardings, der eigentlich aus der Personalentwicklung kommt, frech geklaut und habe ihn für die Sozialisation von Teilnehmerinnen eines Online-Seminars (im Sinne von Gilly Salmons 5-Stufenmodell) in die Lerngemeinschaft verwendet.

Die Softskills von Lehrenden sind Grundpfeiler in der digitalen Bildung

Es macht einen großen Unterschied, ob man best practices nur aus Büchern oder Studien kennt oder den Effekt bester Praktiken aus erster Hand selbst erlebt hat. Mein Fazit ist, dass Respekt, Wertschätzung und Empathie die Grundpfeiler erfolgreichen digital unterstützten Lernens sind – wie in allen qualitativ-hochwertigen Lernprozessen.

Meine Ausbildung als Tutorin in problembasierten Lernen (PBL) und als Online Tutorin an der Universität Oxford haben mir viel geholfen mit einer so großen und diversen Gruppe (Schulteams plus Studierende plus ehrenamtliche UnterstützerInnen) klarzukommen und sie zu managen. Nebenher hatte ich den ganzen Kurs entwickelt und erstellt. Die Entwicklung von Softskills ist eine unabdingbare Gelingensbedingung digitalen Lehrens und Lernens. Man kann uns mit ModeratorInnen von Fernsehshows vergleichen. Wir stellen sicher, dass alle zu Wort kommen, dass Diskussionen fair geführt werden, dass Gruppen durch Fragen und Argumente vorankommen und nicht von einzelnen dominiert werden, dass Zeitfenster eingehalten werden, Feedbackschleifen entstehen sowie adäquate Lernmaterialien und Unterstützungsangebote zur Verfügung stehen. Unser Job ist ebenfalls, last but not least, dass Lernen Freude macht.

Mithilfe digitaler Technologie können wir Möglichkeitsräume erschaffen, die menschliche Begegnungen, Austausch und Kooperation vereinfachen und unterstützen. Technologie ist nie ein Selbstzweck, kantisch gesprochen, und ist immer ein Mittel zur Unterstützung menschlicher Entwicklung. In analogen Lernsituationen lassen sich natürlich die gleichen Effekte aktiven Lernens erreichen. Der Unterschied zu analogen Lernumgebungen liegt darin, dass Kommunikation und Kooperation in der digitalen Domäne ubiquitär erfolgen. Damit können Studierende wie Schulteams wesentlich flexibler und schneller arbeiten als dies in face-to-face Meetings der Fall ist. Zudem können vielfältigste Materialien den Lernprozess unterstützen, sei es durch online Pinnwände, Padlets, synchronisierte Dokumente, (interaktive) Videos oder gemeinsam erstellte grafische Darstellungen und Simulationen.

Die Aktualität von Information in der digitalen Domäne, der hohe Grad an sozialer Vernetzung sowie die multiple (multimediale) Repräsentation erfahrener Wirklichkeit lässt sich in analogen Lernumgebungen nur ansatzweise oder gar nicht verwirklichen. Wenn es um Kollaboration von Gruppen geht, haben digitale Lernumgebungen insoweit klar die Nase vorn. Nicht nur lassen sich Meetings sehr schnell absprechen und durchführen. Aus der Sicht von Lehrenden lassen sich zudem Lernprozesse zwischen homogenen wie heterogen-diversen Gruppen gezielter planen.

Screenshot: In offenen Padlets können Studierende angebotene Sprechstundentermine und Sessions ‘kapern’. Die formale Kommunikation auf der Lernplattform wird um informale Kommunikationsmöglichkeiten erweitert.

Informations-Differenz versus Informations-Equilibrium von Gruppen

Bei homogenen Gruppen, etwa Studierende im gleichen Seminar, kann Lernen durch eine unterschiedliche Aufgabenteilung erreicht werden (Gruppen untersuchen dann etwa verschiedene Aspekte eines gemeinsamen Problems oder sie übernehmen verschiedene Rollen im Team). Bei heterogenen Gruppen findet Lernen durch den Austausch unterschiedlicher Perspektiven, Kontexte und Lebenserfahrungen statt. Entscheidend ist das Management der Informationsdifferenz: In einem Informations-Equilibrium, in dem alle das gleiche wissen und alle am gleichen Problem arbeiten, gibt es kaum notwendigen Austausch und damit die Generierung neuer Information. So können Lernprozesse nur innerhalb enger Grenzen stattfinden. In Gruppen mit divergenten bzw. unterschiedlichen Informationspotentialen ist hingegen das Lernpotenzial entsprechend hoch: Studierende haben sich etwas zu sagen und sie sind motiviert sich mitzuteilen.

Eine Einschränkung besteht jedoch im ‘Ownership of a Problem’, wie es im problembasierten Lernen (PBL) bezeichnet wird. Probleme aus einem reichen und spezifischen Kontext aus Gruppe 1 können nicht automatisch gewinnbringend von einer Gruppe 2 bearbeitet werden, wenn diese Gruppe diesen Kontext nicht oder nur fragmentarisch teilt. Schulteams, welche die Eigenheiten ihrer Schulen am besten kennen, würden beispielsweise wenig hilfreiche Informationen von Studierenden ohne Praxiserfahrung oder Kenntnis lokaler Gegebenheiten erhalten.

Anders verhält es sich bei Problemen, deren Kontext abstrahiert werden kann, beispielsweise wenn es um die Motivation einer spezifischen Altersgruppe in einem definierten didaktischen Kontext geht, oder die (meta)kognitive Effektivität multimedialer Lehr- und Lernmaterialien. Dies trifft für alle übertragbaren, kontext-übergreifenden Probleme zu. Eine zweite Möglichkeit besteht darin, adaptive Lernpfade einzurichten. In diesem Fall bearbeiten Gruppe 1 und Gruppe 2 verschiedene Aufgaben, die für sie relevant sind, sich aber aufeinander beziehen. Ein Beispiel ist die Produktion multimedialer Lehr-und Lehrmaterialien (Gruppe 1) und das Management dieser Materialien unter den Aspekten von Urhebergesetz und cc-Lizenzen (Gruppe 2). Adaptiv bedeutet hier u.a. der Unterschied im Zeitaufwand zur Lösung von Aufgabenstellungen. Vollzeit Studierenden wird ein größerer Zeitaufwand als Schulteams abverlangt, die eine Veranstaltung berufsbegleitend besuchen. Unterschiedliche Zielgruppen erfordern ihren Bedürfnissen angepasste Lernprozesse. Idealerweise wird im Seminar trotzdem neues Wissen generiert von dem alle Gruppen profitieren.

Sobald wir digitale Technologien pädagogisch zielführend verwenden ergeben sich Möglichkeiten der Kommunikation und Verbindung, die es in der analogen Welt in dieser Weise nicht gibt, sei es für kooperative Gruppenarbeit oder die Erstellung gruppen-adaptiver Lernpfade. Daher würde ich die Frage, ob es so etwas wie eine neue Lernkultur in der digitalen Bildung gibt, definitiv bejahen. Weder die Voraussetzung einer Homogenität der Lernenden noch die einer standardisierten Evaluierung trifft zu. Eine neue Lernkultur ist lernerzentriert und sie fördert aktives Lernen. Es gibt hier auch den Begriff des Deeper Learning. Lernerzentrierung selbst ist nichts Neues und ist traditionell tief in der konstruktivistischen Pädagogik verankert. Im europäischen Kompetenz-Rahmenmodell DigCompEdu (The European Framework for the Digital Competence of Educators) werden die diesbezüglichen Kompetenzen im Cluster 5 ‘Empowering Learners‘ ausdifferenziert. Bei dem Erwerb digitaler Kompetenzen geht es nicht um ein ‘Abhaken und nicht weiterreden’, wie dies sehr schön im Seminar formuliert wurde, sondern um die Konstitution gelingender Begründungszusammenhänge. Bei Strafe des Bedeutungsverlustes in der Form dekontexualisierter Kompetenz-Wunschlisten gilt es soziale Akteure in lebenslange aktive Bildungsprozesse einzubinden sowie Lernende in diesen Prozessen zu verstehen und zu begleiten.

Schlussfolgerung: Der Mensch ist von Natur aus analog, doch digitale Lernumgebungen bereichern seine Interaktionsmöglichkeiten

Zusammenfassend können wir festhalten, dass es eine neue Lernkultur tatsächlich geben kann. Sie ist im Idealfall schneller, effektiver, adaptiver, kollaborativer und vielfältiger als analoges Lernen. Wenn die Moderation stimmt ist digital-unterstütztes Lernen nicht minder erfüllend als das beste analoge Lernen. Persönliche face-to-face Begegnungen schenken uns dennoch eine existentielle Erfahrung, die sich digital nicht kommunizieren lässt. Dies ist vor allem für jüngere Schülerinnen und Schüler von Bedeutung. Daher spreche ich mich dafür aus das beste beider Welten, des Digitalen und des Analogen, im Sinne einer reichen hybriden Lernerfahrung zu vereinen. Take the best of both worlds!

Hinter den Kulissen: Ich komponiere elektronische Musik, baue Computer und experimentiere mit Maschinenlernen (Rapidminer) .

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