Es ist leicht dahingesagt: Mach einfach das, was Du liebst und kannst. Und selbst wenn Du es noch nicht so richtig kannst, aber eine Menge Potenzial beweist, mache Dich trotzdem auf den Weg! Du wirst sehen, Dein Projekt wird großartig, außergewöhnlich, einzigartig und brillant. Lass uns wie Feuerpferde durch den Himmel fliegen! Und ja, wir brauchen diese Momente.
Wir leben von ihnen.

Doch alles hat seinen Preis. Die Nemesis dieser Kraftanstrengung ist der Burnout. Alle GründerInnen kennen sie. Die Erschöpfungszustände, wenn es nicht so klappt wie geplant. Der Disconnect von Ziel und Weg. Anstrengung ohne erkennbaren Gewinn, während die Zeit davonläuft.

Auf viele solcher Momente sollte man sich realistischerweise vorbereiten. Die Welt passiert ohne unsere Zustimmung. Resilienz ist in diesem Zusammenhang ein Begriff, der zu leicht gesagt ist. Aus der Sicht von Erschöpften klingt er wie Zynismus: ‘Sei optimistisch, denke an konstruktive Lösungen, verlasse die Opferrolle, baue Netzwerke auf und reflektiere deine Situation!’ etc.etc.

Was für ein oberflächlicher Bullshit. An Optimismus, Problemlösungskompetenz, Empathie und Netzwerken mangelt es ja nicht.

Es gibt m.E. zwei tiefere Dimensionen. Die äußere Dimension liegt in der Struktur unserer Arbeitswelt. Wir sind wie ein digitaler Sisyphos. Unsere Arbeit endet nie. Ein Projekt geht übergangslos in das nächste über. Die Spuren, die unsere Arbeit hinterlässt, sind Tage, manchmal Minuten später bereits veraltet. Das Phänomen einer seltsamen Spurenlosigkeit, oder besser: Spurenverwischung.

Die innere Dimension besteht in der Konsequenz, dass wir kaum zur Ruhe kommen. Ein bisschen wie in der berühmten Szene von Charlie Chaplin in ‚Modern Times‘: Vom Getriebe verschluckt aber in der verharrenden Illusion, die Maschine unter Kontrolle zu haben. Es gibt keine Stille, keine Kontemplation, keine Augenblicke, in denen wir zu uns selbst finden. Aber auch: Meilensteine setzen und Erfolge feiern können. Abschließbarkeit schaffen. Offen über Gefühle reden können, um gemeinsam mit unserem Team neue Aussichtshügel zu erklimmen.

Die Schönheit besteht im Zusammenspiel neuer emotionaler Selbst(wer)erfahrungen mit vorhergehenden Kurs- und Perspektivenkorrekturen. Es gilt Zeit zu nehmen für Differenzierungen, für die reflektierende Auswertung von Beobachtungen. Zeit für philosophische Gedanken als übergeordnete Leitfäden (begleitet von Spaziergängen und gemeinsamen Frühstücksritualen mit Verbündeten), um unsere Lebensfreude und Dankbarkeit wiederzufinden. Oder „Das Nächste Beste” zu lokalisieren – um den schönen Hölderlin-Begriff zu verwenden.
Wertschöpfung beginnt mit unserer Befindlichkeit und Offenheit, sowie unserer Verbindung zu anderen. Entlang den Wachstumspfaden des Intersubjektiven. Auf dieser Grundlage entsteht, zumindest für mich, eine neue Lebenskunst, eine neue ars vivendi. Ein Raum zum Wachsen.

KI-Illustration/ Joana Kompa: Digitale Sisyphosarbeit


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