In jungen Jahren arbeitete ich beim Verein für Behinderte Schorndorf e.V.. Dorothea Bogusch war meine großartige Chefin. Meine medizinische Ausbildung zur Pflege tetraplegischer Erwachsener und behinderter Kinder erhielt ich am Klinikum Heidelberg.

Die Arbeit mit Kindern mit Down-Syndrom hat mir am meisten Spaß gemacht. Einmal zeigte meine Kollegin einer Gruppe von Kids einen herzzerreißenden Liebesfilm. Die Kinder machten große Augen und plötzlich flossen bei vielen Tränen. Total süß. Für sie gab es keinen kognitiven Filter. Das Empfinden ist unmittelbar und echt. Das schreckliche Adjektiv ‚behindert‘ muss neu definiert werden, dachte ich.

Ich stellte mir einen Manager eines führenden Unternehmens vor, der, ohne mit der Wimper zu zucken Tausende von Mitarbeitern in die Arbeitslosigkeit schicken kann. Oder Menschen, die sich rüpelhaft und gefühlskalt gegenüber anderen verhalten. Solche Menschen verdienen das Adjektiv ‚behindert‘. Seelisch abgestumpft. Unfähig zu Empathie, unfähig zu lieben. Menschen ein Label aufzudrücken ist grundsätzlich falsch, daher war dies nur die Illustration einer üblen sprachlichen Zuordnung.

Jahrzehnte später, als ich als Programmdirektorin an einem internationalen College arbeitete, hatten wir besonders viele junge Männer auf dem autistischen Spektrum, die manchmal 30% aller Studierenden ausmachten. Mein unendlich einfühlsamer Multimedia-Dozent Toone fand heraus, dass diese Jungs genauso gut Software lernen können wie die ‚Normalies‘. Sie brauchten nur etwas mehr Zeit und Wiederholungen.

Auch an der Universität Oldenburg sind mir immer wieder viele Studierende begegnet, die mit dem System nicht zurecht kamen. Etwa eine Mutter mit fünf Kindern, die den Zugang über die Realschule schaffte und in der gymnasialen Oberstufe von Mitschülern immer beschuldigt wurde, sie sei allein daran ‚schuld‘, dass der Notendurchschnitt der Klasse ‘wegen ihr’ sinke. Oder eine junge Mutter mit Migrationshintergrund, die fließend sieben Sprachen sprach. Als ich ihr erklärte, dass sie mit ihren Fähigkeiten und ihrer Erfahrung im Umgang mit Kindern die ideale zukünftige Lehrerin sei, kamen ihr die Tränen. Ich entschuldigte mich sofort und fragte, ob ich etwas Falsches gesagt hätte. “Nein”, antwortete sie, “es hat mir nur noch nie jemand gesagt, dass das etwas Positives ist.“

Inklusion bedeutet, eingeladen zu sein, an einer Gemeinschaft teilzuhaben und sich von ganzem Herzen zugehörig zu fühlen. Die wirkliche Freude, dass wir andere Menschen bei uns haben dürfen.

In einer zunehmend globalisierten Welt fühlen sich immer mehr Menschen alleingelassen, einsam und fremd. Wahrscheinlich sind deshalb Superhelden-Serien so beliebt: Wir haben alle unsere Achillesfersen und Schwächen, die meist zuerst wahrgenommen und thematisiert werden, während niemand die wahren Superpower entdeckt und wertschätzt. Ohne Angst vor Abwertung oder Ausschluss.


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