Mein Fachgebiet ist Lerndesign, angewandte Bildungswissenschaft. Auf die obige Frage gibt es viele valide Erkärungen – von Lobbyismus, der Ohnmacht einzelner Konsumenten gegenüber Produzenten, über Gruppenegoismus bis hin zur Verteidigung von Privilegien u.v.a.m. Aus der Sicht konventioneller Lernprozesse sieht unser unterliegendes Erwartungsmodell aus wie folgt:
(1) Wir erklären einer Person rational die Konsequenzen eines ‚Weiter-so‘.
(2) Die Person ist im Idealfall einsichtig und versteht alles, was wir ihr erklären. Sie stimmt zu.
(3) Als Folge eines solch großartigen Lernmechanismus erwarten wir logischerweise eine Verhaltensänderung, die auf den neuen internalisierten Daten basiert.
Entgegen aller Erwartungen bewegt dieser Lernprozess jedoch kaum etwas, weder durch Info-Events und noch weniger durch ein Festkleben auf der Straße. Weder auf nationaler noch auf internationaler Ebene hat die Bemühung, Nachhaltigkeit zu lehren, bisher messbare Ergebnisse in der CO2 Reduktion hervorgebracht. Ganz im Gegenteil. Es sieht so aus, als seien mittlerweile sechs von neun planetaren Kipppunkten erreicht. Woran scheitern wir?
In Zeiten des Umbruchs stehen sich zwei entgegengesetzte Kraftfelder gegenüber: alte Glaubenssätze sowie die Vorahnung, dass wir mit einem ‚Weiter-so‘ unsere Ökosphäre an die Wand fahren. Wahrscheinlich für die nächsten 10.000 Jahre. Zwischen diesen Kraftfeldern bewegen sich Ratlosigkeit, Panik und Zynismus.
Wie tief sitzen Glaubenssätze?
Ich habe mit einem Freund in Berlin darüber diskutiert. „Die Diskussion ist totaler Mumpitz“, sagte er irgendwann, „denn um den Klimawandel zu stoppen, müsstest du (a) erstens den Kapitalismus abschaffen und zweitens (b) die Konsumgesellschaft. Dafür kriegst du die Leute nicht.“
Es ist großartig, wenn Freunde Tabus so frei benennen. Jetzt verstehen wir, wie tief Überzeugungen in uns verwurzelt sind. In mir, in dir, in allen Menschen da draußen. Ob wir inhaltlich in allem übereinstimmen, ist zweitrangig.
Um Glaubenssätze zu erreichen, müssen wir den Lernprozess in einem ‚Reverse Engineering‘ neu konfigurieren. Kognitives Wissen und pragmatisches Können müssen zusammenkommen. Wir müssen zum reflektierenden Handeln kommen (Kopf und Hand), um neue Erfahrungen zu machen, die das Herz erreichen. Verstehen schafft Einsichten. Handeln erzeugt Erfahrungen. Nur beide zusammen können Verhaltensänderungen bewirken, indem sie innere Überzeugungen durch neue Erfahrungen transformieren: ‘Knowledge is only rumor until it lives in your body’.
Wir verstehen jetzt, wie Debatten zwar sehr hilfreich sind, um Perspektiven auszutauschen, aber letztendlich keine Veränderung bewirken. Ein E-Learning-Kurs schafft bspw. weder Gemeinschaft noch Teamspirit.
Insoweit bestätigt sich unser Ansatz, bei den Lernhandlungen zu beginnen.
Für eine kollektive Verhaltensänderung müssen wir vollkommen neuartige Lernerfahrungen designen.
Photo: NASA